Mariä Himmelsaufnahme

Warum feiern die Katholiken heute?

Die Katholische Kirche feiert heute ein Fest: die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel. Sie ist das passende Gegenstück zur Menschwerdung Gottes. Die Katholische Kirche (und die orthodoxen Christen) feiern am 15. August deshalb eine Art „Komplementärweihnacht“.

Bei der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel gelangt die Natur des Menschen in Gestalt Marias durch Jesus zu Gott. Die volkstümliche Bezeichnung „Mariä Himmelfahrt“ ist wegen der aktivischen Konnotation irreführend. Maria fährt nicht zum Himmel auf, sie wird aufgenommen, also: Mariä Himmelsaufnahme.

„Warum aber feiern die Katholiken dieses Fest? Schließlich steht nirgendwo in der Bibel ausdrücklich, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde!“

Richtig. Dennoch gibt es einige gute biblische, theologische und historische Gründe, die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel zu feiern.

1. Biblische Gründe

Es gibt zwei alttestamentliche und zwei neutestamentliche Stellen, die auf die Aufnahme Mariens in den Himmel deuten. In Psalm 132 heißt es: „Erheb dich, Herr, komm an den Ort deiner Ruhe, du und deine machtvolle Lade!“ (Ps 132, 8) „Du“, das ist Jesus, die „Lade“, das ist Maria. Und im Hohelied heißt es: „Wer ist die, die aus der Steppe heraufsteigt, auf ihren Geliebten gestützt?“ (Hld 8, 5) Auch diese Stelle drückt die Verbindung Mariens mit Jesus aus.

Zudem spricht die Offenbarung eine deutliche Sprache. Erstens heißt es mit Bezug zu Psalm 138: „Der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet, und in seinem Tempel wurde die Lade seines Bundes sichtbar“ (Offb 11, 19a). Zweitens ist die sonnenbekleidete, sternenbekränzte Frau ein Hinweis auf die Vollendung Mariens bei Gott: „Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“ (Offb 12, 1). Das Licht der Sonne steht für die himmlische Herrlichkeit, die Maria umstrahlt, dessen Quelle Gott selbst ist („Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit des Herrn erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm“, Offb 21, 23). Die Zwölf ist die Zahl der Vollendung – zwölf Stämme Israels, zwölf Apostel, zwölf Sterne. Ergo: Maria ist vollendet bei Gott.

2. Theologische Gründe

Maria ist die „Begnadete“ (Lk 1, 28), von Gott gesegnet – „mehr als alle anderen Frauen“ (Lk 1, 42). Im Glauben der Kirche ist sie frei von Schuld. So drückt es das Dogma von der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter (1854, Papst Pius IX.) aus: „Diese Unsere Worte sollen vernehmen die Uns so teuern Söhne der katholischen Kirche; sie sollen fortfahren mit stets glühenderem Eifer der Frömmigkeit, der Liebe und Hingabe die seligste Gottesgebärerin und Jungfrau Maria, die ohne Makel der Erbsünde empfangen wurde, zu verehren, anzurufen und anzuflehen“.

Wenn Maria frei von Sünde war („unbefleckt“), dann gibt es theologisch keinen Grund, an ihrer Aufnahme dort (also: bei Gott) zu zweifeln, wo wir alle – trotz unserer Sündhaftigkeit – hinzugelangen hoffen: zu Gott.

3. Historische Gründe

Es gibt aber auch einige historische Indizien dafür, dass mit Maria etwas anders lief als – beispielsweise – mit den Aposteln. Schon sehr bald in der jungen Christenheit haben viele Orte für sich beansprucht, im Besitz von Reliquien, also von leiblichen Überresten der Apostel zu sein. Das Geschäft damit blühte, so dass Martin Luther spottete, dass von den zwölf Aposteln 14 allein in Deutschland liegen sollen.

Niemals jedoch hat irgendjemand dies im Zusammenhang mit Maria reklamiert: im Besitz von Reliquien zu sein. Eine Ahnung von der leiblichen Aufnahme? Das Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (1950, Papst Pius XII.) kam viel später, aber die Ahnung, der Sinn, das Gespür der Gläubigen, der „sensus fidei“, scheint bereits sehr lange zuvor die Kirche in diese Richtung geführt zu haben.

Es gibt tatsächlich – und das ist erstaunlich – keine Erkenntnisse über Ort, Zeitpunkt und Art des Todes der Maria. Bereits in der Antike wird das als erstaunlich bemerkt, etwa beim Kirchenvater Epiphanios. Dieser schreibt im 4. Jahrhundert in seinem Panarion: „Aber wenn einige meinen, dass wir uns irren, dann lasst sie die Heilige Schrift durchsuchen. Sie werden nichts darüber finden, ob sie starb oder nicht starb; sie werden nichts finden, ob sie beerdigt wurde oder nicht beerdigt wurde. Mehr als dies: Johannes reiste nach Asien, jedoch nirgendwo können wir lesen, dass er die heilige Jungfrau mit sich nahm“. Erklärt wird das mit der Rücksichtnahme der Bibel auf die begrenzte Vernunft des Menschen: „Vielmehr bewahrt die Schrift absolutes Stillschweigen, um das Gemüt der Menschen nicht zu schockieren wegen der außergewöhnlichen Natur der Wunder. Was mich angeht, ich wage mich nicht, zu sprechen; statt dessen bewahre ich meine eigenen Gedanken, und übe mich in Stillschweigen“.

Andere sind da redseliger. Bereits aus dem 2. Jahrhundert stammt der Melito von Sardes zugeschriebene Transitus Mariae, in dem es heißt: „In Gegenwart der Apostel, die um ihr Bett versammelt waren und auch in Gegenwart ihres göttlichen Sohnes und vieler Engel, starb Maria und ihre Seele stieg in den Himmel auf begleitet von Christus und den Engeln. Ihr Leib wurde von den Jüngern beerdigt. Schwierigkeiten entstanden unter einigen Juden, die ihren Leib aus dem Weg schaffen wollten. Daraufhin geschahen verschiedene Arten von Wundern, um sie zu überzeugen, dass sie den Leib Marias ehren sollten. Am dritten Tag kehrte Christus zurück. Auf Bitten der Apostel wird die Seele Marias mit ihrem Leib vereint.Von singenden Engeln begleitet,trug Christus Maria ins Paradies“. Im frühen 6. Jahrhundert stufte ein päpstliches Dekret (Decretum Gelasianum) den Transitus Mariae als apokryphisch ein, was dessen weite Verbreitung jedoch nicht verhinderte. Die Folge: Im Mittelalter war die Aufnahme Mariens in den Himmel ein fester Bestandteil des christlichen Glaubens.

„Aber dann hat die Reformation damit Schluss gemacht, oder?“

Nein. Auch für Martin Luther war die Aufnahme Mariens in den Himmel eine Selbstverständlichkeit, und der protestantische Reformer Martin Butzer schreibt noch Mitte des 16. Jahrhunderts: „Doch zweifelt kein Christ daran, die würdigste Mutter des Herrn lebe bei ihrem lieben Sohn in himmlischen Freuden“. Der Glaube an Mariä Himmelsaufnahme erreichte erstaunlich ungehindert die Moderne – lange bevor er zum Dogma wurde.

Das Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens hat Papst Pius XII. am 1. November 1950 in der Apostolischen Konstitution Munificentissimus Deus wie folgt formuliert: „In der Autorität unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und auch kraft Unserer eigenen verkündigen, erklären und definieren Wir: Es ist ein von Gott geoffenbartes Dogma, daß die immerwährende Jungfrau Maria, die makellose Gottesgebärerin, als sie den Lauf des irdischen Lebens vollendete, mit Leib und Seele zur himmlischen Glorie aufgenommen wurde.“

In dieser Frage schritt der sensus fidei wie gesagt bereits lange voraus, das Lehramt bestätigte den Glaubenssinn nur noch. Und selbst dieses Nachvollziehen einer 1800jährigen Glaubensgeschichte geschah nicht eigenmächtig: Papst Pius XII. befragte im Sinne der kirchlichen Einheit die Bischöfe. Das Ergebnis war ein deutliches Votum für das Dogma: Lediglich 22 von 1181 Oberhirten sprachen sich dagegen aus, also nur 1,8 Prozent.

Wir Katholiken dürfen sie heute also mit ganzem Herzen feiern: die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel.

(Josef Bordat)