Papst Franziskus seit sechs Jahren im Amt

Sechs Jahre Papst Franziskus, sechs Aspekte seines Pontifikats

Heute vor sechs Jahren, am 13. März 2013, wurde aus Jorge Mario Kardinal Bergoglio der 266. Papst der Kirchengeschichte. Der Jesuit aus Argentinien nennt sich „Franziskus“ – ganz bewusst in Anlehnung an die historische Rolle des Heiligen Franz von Assisi („Geh und baue meine Kirche wieder auf!“). Und dieser Papst Franziskus sagt als erstes „Guten Abend“. Damit war schnell klar: Wir dürfen gespannt sein. Was kam danach?

1. Franziskus steht für Veränderung in der Kirche, für die Ecclesia semper reformanda. Das zeigt sich rasch. Beispiel: „Evangelii Gaudium“ (2013). Das Apostolische Schreiben, das wenige Monate nach dem Beginn seines Pontifikats erschien, ist programmatisch für den neuen Wind, der in Rom weht. Wenn der Heilige Vater sagt, wir dürften „die Dinge nicht so belassen, wie sie sind“ (EG, Nr. 25) und mit Paul VI. „fordert, den Aufruf zur Erneuerung auszuweiten, um mit Nachdruck zu sagen, dass er sich nicht nur an Einzelpersonen wandte, sondern an die gesamte Kirche“ (EG, Nr. 26), um gemäß dem Konzil „eine ständige Reform ihrer selbst aus Treue zu Jesus Christus“ (EG, Nr. 26) zu verwirklichen, eine Reform, die Ziele, Strukturen, Stil und Methoden (vgl. EG, Nr. 33) auf den Prüfstand stellt, dann ist das mehr als Rhetorik. Es ist der Beginn eines Reflexionsprozesses, der substanziell Neues hervorbringen soll, hinsichtlich vieler Fragen: der Kirchen(finanz)verwaltung, der Rolle von Frauen in dieser kirchlichen Verwaltung, des Dialogs mit anderen Konfessionen und Religionen.

2. Franziskus steht für Kontinuität in wichtigen moralischen Fragen, etwa der des Lebensschutzes. Papst Franziskus hat Abtreibungen als Ausdruck einer „Wegwerfkultur“ scharf verurteilt. „Häufig werden menschliche Wesen wie nicht mehr benötigte Gebrauchsgegenstände entsorgt“, so der Heilige Vater in seiner Neujahrsansprache 2014 vor den versammelten Diplomaten. Die Äußerungen des Papstes seien „die bislang schärfsten Worte zu diesem Thema“, stellte die FAZ erstaunt fest. In Erstaunen versetzen konnten sie die Katholiken jedoch nicht. Erstaunlich ist vielmehr, dass es offenbar viele Menschen gibt, die sich vom Papst etwas „anderes“ versprochen hatten, eine „andere“ Haltung zur Abtreibung. Doch solange Abtreibung das ist, was es ist, wird die Haltung der Kirche weiterhin die sein, die sie bisher war. Reformen: ja, aber nur dort, wo dies moralisch möglich oder gar geboten ist. Aus der beschriebenen Veränderungsbereitschaft des Papstes zu schließen, nun sei „alles“ offen, ist ein Trugschluss. Dass Papst Franziskus das unbedingte Lebensrecht des Menschen hoch hält, wurde bereits zuvor in einem Gruß an die Teilnehmerinnen und Teilnehmern des „Marsch für das Leben“ im Jahr 2013 spürbar, als sich der Heilige Vater mit dessen Anliegen solidarisierte: „Gerne verbindet sich Seine Heiligkeit mit den Teilnehmern am Marsch für das Leben im Gebet und bittet Gott, alle Bemühungen zur Förderung des uneingeschränkten Schutzes des menschlichen Lebens in allen seinen Phasen mit seinem Segen zu begleiten.“ Dass Papst Franziskus „Pro Life“ ist, hätte man schließlich schon wissen können, wenn man Kardinal Bergoglio zugehört hätte: „Abtreibung ist nie eine Lösung. Wir müssen zuhören, unterstützen und verstehen, um zwei Leben zu retten: das kleinste und wehrloseste menschliche Wesen zu respektieren, Schritte zu unternehmen, die sein Leben retten, seine Geburt ermöglichen und kreativ sein, um ihm bei seiner Entfaltung zu helfen“ – ein Statement aus 2012.

3. Franziskus steht für eine ökologische Ausrichtung der katholischen Soziallehre. Seine Verlautbarungen sind geprägt von sozialen und ökologischen Fragen, etwas, das es zwar zuvor schon gab (etwa bei Papst Benedikt XVI., der eine Solarstromanlage von der Größe eines Fußballfeldes im Vatikan errichten ließ, mit der jedes Jahr rund 220 Tonnen Kohlendioxid-Emissionen eingespart werden; dafür erhielt der Vatikan 2008 den „Europäischen Solarpreis“), das Franziskus aber mit Nachdruck und neuen Akzenten fortschreibt. Beispiel: „Laudato Si‘“. Franziskus‘ im Sommer 2015 vorgestellte Umwelt- und Sozialenzyklika thematisiert die globale ethische Herausforderungen wie Klimawandel und Armut gleichermaßen und gleichrangig. Die dort erkennbare Verbindung ökologischer und ökonomischer Fragen ist hochinteressant, vor allem die Fortschreibung des Eigentumskonzepts der Katholischen Soziallehre in der Figur des „Gemeineigentums“, dem das Privateigentum untergeordnet sei. Wenn Franziskus betont (vgl. LS, Nr. 23 ff. und Nr. 93 ff.), dass es sich bei der natürlichen Umwelt um ein Gemeingut handelt, so ergibt sich daraus die moralische Rechtfertigung, Eingriffe in das Privateigentum (etwa an fossilen Brennstoffen) zur Zwecke der Abwehr von Gefahren für das Gemeineigentum (etwa der sauberen Luft, aber auch der thermisch ausgeglichenen Atmosphäre) vorzunehmen. Papst Franziskus hat damit einen zentralen Gedanken der Umweltschutzbewegung ins katholische Bewusstsein gehoben. Dieser Gedanke ist zwar auch für die Kirche nicht ganz neu (schon in Gaudium et spes lesen wir: „Gott hat die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt“, GS Nr. 69), aber er wird nun politisch relevant, weil in Zeiten des Klimawandels erstmals das Gemeingut „Erde“ gänzlich zur Disposition steht.

4. Franziskus spricht eine neue Sprache. Man bekommt damit den Eindruck: Es kann über alles geredet werden. Franziskus selbst hat eine neue Begrifflichkeit für und eine neue Perspektive auf moraltheologische Themen gefunden, ohne damit die Lehre selbst grundsätzlich in Frage zu stellen. Beispiel: das nachsynodale Schreiben „Amoris Laetitia“ (2016). Wie wohltuend muss es sein, im Schmerz des Scheiterns an den Idealen der Kirche zu lesen, die sei „im Besitz einer soliden Reflexion über die mildernden Bedingungen und Umstände. Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten ‚irregulären‘ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben“ (AL, Nr. 301). Das hat Franziskus nicht erfunden, aber er betont es. Er ändert die Sicht auf die Norm. Er versucht, das Gesetz in Liebe auszulegen. Er nimmt die christliche Erkenntnis ernst: Barmherzigkeit ist die Gerechtigkeit Gottes. Und er stellt eine Instanz ins Zentrum der Morallehre, die ein Schattendasein führte: das Gewissen.

5. Franziskus ist ein Medienpapst. Das ist, was die Zeit braucht, wir leben ja in einer Mediengesellschaft. Freilich ist es für Katholiken immer etwas eigenartig, wenn die Presse Franziskus für etwas lobt, das sie bei Benedikt kritisierte oder überging. Oder, wie schnell sich der Wind auch wieder drehen kann. Dass in den letzten Wochen und Monaten die Stimmung kippt, ist ebenso Symptom des am Tagesgeschäft orientierten Sensationsjournalismus‘ wie die Lobeshymnen zu Beginn seiner Amtszeit. Dennoch trugen die Medien (und der Umgang des Heiligen Vaters mit ihnen) zur großen Beliebtheit des Papstes bei. Auch in den Sozialen Medien zeigt sich, wie beliebt Franziskus ist. Auf Twitter folgen ihm Millionen, im Facebook bildeten sich rasch Freundeskreise mit vierstelliger Mitgliederzahl.

6. Franziskus ist ein Papst der Jugend und damit der Zukunft. Schon drei Weltjugendtage hat er absolviert: Rio (2013), Krakau (2016) und Panama (2019). Themen, die Jugendliche besonders interessieren (nicht nur Sex, sondern auch Fragen der Berufung) ließ der Heilige Vater synodal verhandeln, unter Einbeziehung der Jugendlichen. Bei seinen Reisen plant er zumeist ein Treffen mit Mädchen und Jungen ein, um sich über ihre Situation vor Ort zu informieren. Er ist bemüht, auch die fürchterlichen Abgründe des Umgangs mit Kindern und Jugendlichen innerhalb der Katholischen Kirche auszuleuchten, damit sich das, was in den vergangenen Jahrzehnten geschah, nicht wiederholt. Dass jetzt einige (auch innerhalb der Kirche) ihre absolut verständliche Irritation angesichts des Missbrauchsskandals auf Franziskus projizieren, ist schmerzlich, denn das hat der Papst nicht verdient.

(Josef Bordat)