Ostern. Eine Bilanz

Am 6. April des Jahres 30 wird ein jüdischer Wanderprediger ohne festen Wohnsitz aufgrund des römischen Besatzungsstatuts in der Provinz Judäa wegen der Vorbereitung, Planung und Durchführung von Störaktionen gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere wegen Aufrufs zur Steuerhinterziehung, nach kurzem Prozess (Anhörung ohne Zeugenbefragung) hingerichtet. Den Behörden zugeführt wurde er nach mehreren Provokationen durch die jüdische Religionspolizei in Jerusalem, die in solchen Fällen eng mit der römischen Verwaltung zusammenarbeitete. Sein Todesurteil ist eines von mehreren, das an diesem Tag vollstreckt wird. In gewissem Sinne ist es gar Routine. Insbesondere, wenn es um Wanderprediger ging, die das Volk vermeintlich oder tatsächlich gegen Rom aufhetzten, wurde sehr oft die Todesstrafe vollstreckt – Historiker schätzen bis zu mehreren zehntausend Mal.

Was ist so besonders an Jeschu?

Die meisten dieser Wanderprediger kennen wir heute nicht mehr. Für die antike Geschichtsschreibung waren sie irrelevant, so wie heute erschlagene Obdachlose nur selten in die Fernsehnachrichten kommen. Ganz wenige sind zumindest namentlich bekannt, etwa ein gewisser „Johannes“ mit dem Beinamen „der Täufer“, der jedoch außerplanmäßig und nicht in Zuständigkeit der römischen Verwaltung, sondern des jüdischen Königs hingerichtet wurde. Vielleicht ist uns deshalb sein Schicksal so gut überliefert.

Mit einem der Hinrichtungsfälle vom 6. April 30 ist das anders. Der Wanderprediger mit dem Namen „Jeschu“ aus Nazareth in Galiläa ist heute, 1980 Jahre später, bekannter als Coca-Cola oder die Olympischen Ringe. Für viele Menschen ist Jeschu zudem mehr als ein Wanderprediger. Für jeden dritten Menschen ist er der „Sohn Gottes“, für jeden sechsten Menschen ein „Prophet Gottes“ und für jeden siebten Menschen ist er eine „Inkarnation Gottes“. Sechs von zehn Menschen verehren ihn in einer besonderen Weise. Irgendwo auf der Welt wird in einer speziellen Zeremonie immer seiner Hinrichtung gedacht. Sein heute gebräuchlicher Name „Jesus“ erhält bei „google“ über 150 Millionen Treffer.

Das ist eine erstaunliche Karriere für einen jüdischen Wanderprediger. Wie hat er so weit gebracht? Was unterscheidet ihn von den anderen Wanderpredigern? Die Antwort lautet: seine Auferstehung. Was hat es damit auf sich?

Jeschu hatte – wie jeder Wanderprediger damals – einige Anhänger, Frauen und Männer, die mit ihm gingen. Sie halfen ihm in organisatorischen und lebenspraktischen Fragen. Wenn er zu den Menschen sprach, standen sie ihm zur Seite. Einige von Jeschus Anhängern behaupteten wenige Tage nach seiner Hinrichtung, dass er, Jeschu, lebe. Man habe ihn gesehen. Sie lösten mit dieser Aussage eine Bewegung aus, die wir heute „Christentum“ nennen. Für dieses Christentum ist die Auferstehung, die an Ostern gefeiert wird, das zentrale Ereignis. Ohne Auferstehung ist der christliche Glaube sinnlos, ja, ohne Auferstehung (oder: ohne die Nachricht davon), gäbe es heute kein Christentum. Es hat sich nämlich durch die Nachricht von der Auferstehung entwickelt und verbreitet, gegen heftigen Widerstand über Jahrhunderte voller Gewalt, die diese Nachricht zum Verstummen bringen wollte.

Dass dies nicht gelang und dass die Nachricht überaus wirkmächtig war, wissen wir heute. Über den Wahrheitsgehalt dieser Nachricht wurde und wird jedoch vehement gestritten – damals wie heute. Die Reaktionen sind ähnlich. Als Paulus im aufgeklärten Athen von der Auferstehung erzählt, bilden sich drei Gruppen: die Spötter, die Indifferenten, die Gläubigen (Apostelgeschichte 17, 32-34). Das kommt einem sehr bekannt vor. Nicht von der Predigt auf der Agora, sondern von Diskussionen im Forum.

Sicher: Auferstehung ist eine Frage des Glaubens. Dennoch kann man sich ihr auch als historisches Ereignis nähern und die Plausibilität der Nachricht prüfen. Drei Gedanken kommen mir dabei in den Sinn.

Erster Gedanke: Betrug?

Es könnte sich bei der Nachricht von der Auferstehung um eine Lüge handeln, um einen keinen Betrug, der gigantische Ausmaße annahm. Über solcherlei Betrugsabsichten wurde damals schon spekuliert – unter der jüdischen Obrigkeit (Matthäus 27, 62-66). Deswegen der Stein, deswegen die Wachen.

Warum aber erwähnt der Evangelist Matthäus dies? Wenn es den Betrug gab, könnten diese Worte dazu dienen, ein erklärendes Argument für die Skepsis nachzuschieben, die eine Generation nach Christus überall auftrat und wie sie auch Paulus um das Jahr 50 n. Chr. in Athen entgegenschlägt. Das Matthäus-Evangelium entstand ja zu Beginn der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts – das würde also passen. Freilich ist auch dies nicht mehr als eine Unterstellung, aber ein solcher Trick fügte sich durchaus in die große Verschwörung ein, wenn es denn eine solche gegeben hat.

Was jedoch eindeutig dagegen spricht, das ist die Geschichte der Urgemeinde, der jungen Kirche.

Eine Lüge gibt man irgendwann auf, wenn der Preis zu hoch wird. Einen Betrug gesteht man ein, wenn der Widerstand zu groß wird. Zumindest zieht man sich schweigend zurück. Das Gegenteil ist aber der Fall: Gegen alle Widerstände wird die Nachricht verbreitet. Warum hielten sie daran fest, obwohl sie das sehr oft das Leben kostete? Warum haben sie die Lüge, wenn es eine war, so gut durchgehalten? Welches Gut ist mehr wert als das eigene Leben? Doch nur eine Wahrheit, für die es sich zu sterben lohnt. Und keine Lüge! Paulus selbst meinte, dass es sich nicht lohnte, für den Glauben zu sterben, wenn es nicht um die Auferstehung als wahren Kern dieses Glaubens ginge (1. Brief an die Korinther 15, 17-19).

Auf dem Sterbebett, den Tod vor Augen, bekennen viele Menschen eine Lüge, die sie zuvor ein Leben lang mit sich trugen, eine Untreue, ein Versagen, einen Betrug. Von den mehreren zehntausend Christen, die während der ersten Jahrhunderte ermordet wurden, ist so etwas nicht überliefert – im Gegenteil: Sie loben und preisen Gott, sie beten und bitten für ihre Peiniger. Die erste Generation, also die, welche Christus kannte und damit aus der „Zeugenzeit“ stammt, wird fast vollständig ausgelöscht. Im Tod erneuerten viele ihr Bekenntnis und gaben zum letzten Mal ein Zeugnis der Auferstehung. Hätten ihre Gegner es nicht aufgezeichnet, wenn sich auch nur leiser Zweifel geregt hätte? In der antiken Geschichtsschreibung ist aber davon nichts zu lesen. Statt dessen blitzt ab und an Bewunderung durch, darüber, wie furchtlos Menschen in den Tod gehen können. Die Lösung liegt auf der Hand: Ihr Glaube an die Auferstehung, der ihnen Gewissheit war.

Die Begeisterung und Opferbereitschaft der „Generation Jesus“ ist zu groß, um bloß gespielt zu sein. Und diese Begeisterung und Opferbereitschaft steht und fällt mit der Auferstehung. Hier lag bei den ersten Christen eine Qualität von Überzeugtheit vor, die es ermöglichte, die Verfolgung auszuhalten und die Nachricht zu verbreiten. Wenn das nicht so gewesen wäre, würden wir heute alles mögliche feiern, aber nicht die Auferstehung Jesu Christi.

Zweiter Gedanke: Verrückte Christen!

Wenn Fremdtäuschung ausscheidet, könnte es sich aber immer noch um Selbsttäuschung handeln. Dann wären die Jünger nicht „böse“, sondern „dumm“. Dann hätten sie sich die Auferstehung nur eingebildet und eingeredet.

So etwas ist durchaus möglich. Halluzinationen kommen – zumal in Stresssituationen – nicht gerade selten vor. Nur ist es schwer vorstellbar, dass verschiedene Menschen an verschiedenen Orten urplötzlich unter der gleichen Psychose leiden, die dann Jahrzehnte lang andauert und offenbar hoch ansteckend ist. Nicht nur die Jünger hatten das überwältigende Gefühl der spürbaren Anwesenheit ihres Herrn, sondern auch eine ganze Menge anderer Menschen, darunter solche, die Jesus nie gefolgt waren oder ihn und seine Anhänger sogar verfolgt hatten, darunter Paulus (1. Brief an die Korinther, 15, 3-8). Und mit dessen Berufung endet die Massenpsychose (also die Erscheinungen des auferstandenen Jesus) wieder – so urplötzlich, wie sie begann? Möglich, aber nicht überzeugend.

Dass gläubige Christen verrückt sind, stimmt trotzdem. Sie sind ver-rückt. Sie stehen nicht mehr an der gleichen Stelle. Durch die Auferstehung sind sie emporgehoben, weg von ihren existentiellen Sorgen und Nöten, weil sie wissen, dass alles, was ihnen an Leid widerfährt, bereits im Kreuzestod Christi enthalten ist, ein Tod, der sich durch die Auferstehung als Tor zum Leben und zur Erlösung der Welt offenbart.

Dritter Gedanke: Frauen!

Wir haben nur das biblische Zeugnis von der Auferstehung. Das ist sehr wenig. Das war auch den ersten Christen sicherlich klar. Nun ist es ja so, dass man, wenn einem schon bewusst ist, auf welch dünnem Eis man sich bewegt, nicht unbedingt auch noch darauf herumspringt. Genau das tun aber die Evangelisten.

In geradezu fahrlässig naiver Weise werden Menschen als Hauptzeugen der Auferstehung eingeführt, die in der antiken Gesellschaft nichts gelten: Frauen – darunter eine Prostituierte. Man muss sich das vorstellen: Das ist etwa so, als würden wir als Zeugen bei Gericht unseren Kanarienvogel angeben.

Dieses Detail ist deswegen besonders pikant, da es in der antiken Rechtsauffassung ausschließlich auf das Zeugnis ankam, um die Wahrheit eines Sachverhalts nachzuweisen; eine unabhängige Untersuchung der Indizien, wie wir sie heute kennen, fand nicht statt – zum Urteil führte entweder das Geständnis oder ein glaubwürdiges Zeugnis. Nun werden ausgerechnet Frauen genannt! Und ein Mann, der drei Tage zuvor dreimal gelogen hatte: Petrus (Lukas 24, 12). Auch darüber berichten die Evangelisten schamlos. Unglaubwürdiger geht es nicht!

Hätten die Evangelisten nicht ein paar Ratsherren beim Morgenspaziergang „zufällig“ am leeren Grab vorbeilaufen lassen können, um die Glaubwürdigkeit der Auferstehung, an der ja alles hing und hängt, das ganze Christentum, etwas zu steigern und das Ereignis damit auch für die Eliten in Jerusalem, Damaskus, Athen und Rom akzeptabel zu machen? Oder hätten sie nicht wenigstens über die Identität der Zeugen die Hülle des Schweigens legen können? In bestimmter Unklarheit von „einigen seiner Freunde“ sprechen können, statt übereinstimmend von „Frauen“ – mal zwei (Matthäus 28, 1), mal drei (Markus 16, 1), mal eine ganze Gruppe (Lukas 24, 10)?

Sie tun es nicht. Warum? Wieder ein Trick? Also: Doppelt um die Ecke gedacht? Man könnte ja behaupten, die Tatsache, dass zuerst Frauen dem Auferstandenen begegnen, wird gerade deshalb erwähnt, um die Sache beim Rezipienten durch die unverschämten Details erst recht glaubwürdig zu machen. Sie machen es unglaubwürdig, damit man glaubt, es sei dadurch glaubwürdig?

So verdreht denken nur wir moderne Menschen, die wir davon ausgehen, dass es Irrtümer im Urteil auf den ersten Blick geben kann. Durch Kriminalspiele im Fernsehen wird uns ein solches Denken geradezu aufgenötigt: Der erste Verdacht ist (meist) falsch. Lügner, Betrüger oder Mörder sind die, von denen man es nicht annimmt, dass sie lügen, betrügen oder morden. Und es sind die, denen man qua persona nicht glaubt, die am Ende doch die Wahrheit gesagt haben.

Der antike Mensch dachte anders, weniger um die Ecke, sondern eher klar und gradlinig, im Glauben an eine lineare universale Erzählung, die den Weltlauf als Vorsehung betrachtet, in dem keine falschen Fährten gelegt werden. Einem solchen Menschen erzählt man eine solch wichtige Geschichte nicht mit einem derartigen Zweifelspotential in entscheidenden Passagen – und wie gesagt: Was war für die Antike entscheidender als die Zeugen selbst?

Man erzählt so etwas nicht, es sei denn, die Geschichte ist wahr, und man ist von der Wahrheit und Heiligkeit des Ganzen so überzeugt, dass man nicht, damit es glaubwürdiger klingt, durch kleine Lügen eine plausible, glatte Erzählung daraus macht. Die Nachricht wird in ihrer ganzen widersprüchlichen Sperrigkeit vermittelt. Warum? Weil sie wahr ist. Das könnte doch sein, oder?

Was ist aber dann von Johannes, der sein Evangelium 30 bis 40 Jahre später verfasste als die anderen drei Evangelisten, zu halten, der den qua persona unglaubwürdigen Frauen und dem unglaubwürdig gewordenen Petrus noch „andere Jünger“ als Zeugen beistellt (Johannes 19, 3)? Soll diese Erwähnung von Männern mit einwandfreiem Leumund einer nachträglichen Beglaubigung des Auferstehungsereignisses dienen? Johannes diese Absicht zu unterstellen, ist mehr als gewagt. Wenn dem so wäre, würde das jedoch erst recht dafür sprechen, dass es tatsächlich nur Frauen waren, die als Zeugen der ersten Stunden gelten können. Damit wäre zugleich erweisen, dass Markus, Matthäus und Lukas ausgerechnet in diesem höchst kritischen Punkt die Wahrheit erzählten. Warum sollten sie, vor allem Lukas, der ja auch die Apostelgeschichte festhielt, dann aber gerade in anderen Punkten, etwa den Erscheinungsberichten, um der Stimmigkeit willen zu schummeln beginnen?

Bezeugen, nicht beweisen!

Die Auferstehung ist unglaublich. Aber wahr. Dies gilt es für den Christen zu bezeugen, nicht zu beweisen. Wer die Auferstehung bloß als historisches Faktum begreift und als solches zu rekonstruieren versucht, verfehlt die Dimension des unendlichen Heils im Ewigen Leben, die Christi Auferstehung unserer Existenz verleiht und nimmt dem Glauben zudem sein tiefstes Geheimnis. Denn der christliche Glaube erschöpft sich nicht im bloßen Nachvollzug von Fakten, sondern besteht gerade in der Einlassung auf das, was sich unserer unmittelbaren Anschauung nicht zuvörderst aufdrängt, um das anzusprechen, was es braucht, um reinen Herzens den lebendigen Gott zu bekennen: Vertrauen.

(Josef Bordat)